10. August 2021
Die Bewilligungsverfahren müssen schneller werden
Olten (energate) - Spätestens seit dem Scheitern des Rahmen- bzw. Stromabkommens mit der EU steht die Versorgungssicherheit zuoberst auf der energiepolitischen Agenda. Im Interview mit energate sagt Mitte-Nationalrätin, Energiepolitikerin und aee suisse Vorstandsmitglied Priska Wismer-Felder, wie sie zu einem Langzeitbetrieb der Schweizer Kernkraftwerke steht. Und sie erläutert, was für einen schnellen Ausbau der Erneuerbaren geschehen muss.
energate: Frau Wismer-Felder, in der Politik und den Medien wird derzeit vor dem Hintergrund einer möglichen Stromknappheit über einen Langzeitbetrieb der Schweizer Kernkraftwerke diskutiert. Was ist Ihre Haltung dazu?
Wismer-Felder: Die Betriebsdauer der Kernkraftwerke ist für mich in erster Linie eine Frage der Sicherheit. Die Entscheidungshoheit über einen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke muss einzig und allein beim Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) liegen. Was mit der jetzigen Diskussion indirekt angesprochen wurde, ist in dem Sinn also die Frage, inwiefern man die Kernkraftwerksbetreiber im Sinne eines Weiterbetriebs finanziell unterstützen sollte. Das ist für mich allerdings nur die allerletzte Option.
energate: Warum?
Wismer-Felder: Meine Intention ist eine andere. Wir müssen jetzt endlich und möglichst schnell den Ausbau der Erneuerbaren vorantreiben. Ich erhoffe mir, dass wir dann – ich sage jetzt 2035 – an einem Punkt stehen, an dem wir nicht weiter auf die Kernenergie zurückgreifen müssen.
energate: Aber muss der Zubau denn nicht viel schneller vonstattengehen? Schliesslich könnten die Importkapazitäten wegen des gescheiterten Stromabkommens mit der EU schon 2025 massiv eingeschränkt sein…
Wismer-Felder: 2025 rechne ich noch nicht mit einer Stromlücke. Wir haben dann noch genügend Kapazitäten und könnten deswegen auch mit weniger Importen umgehen. Aber Sie sagen es natürlich richtig: Wir müssen jetzt endlich vorwärtsmachen. Fehler zu machen – wie etwa grosse Photovoltaikanlagen sträflich zu vernachlässigen oder Windenergieprojekte in jahrelangen Bewilligungsprozessen zu blockieren -, dürfen wir uns in Zukunft einfach nicht mehr leisten.
energate: Das Herzstück der neuen Energiepolitik soll ja das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien sein. Treibt die Schweiz den Erneuerbaren-Ausbau mit diesem Gesetzesentwurf nun „endlich vorwärts“?
Wismer-Felder: Das liegt jetzt in den Händen von uns Politikern und dafür müssen alle von ihren Idealvorstellungen abrücken. Die SVP beispielsweise sagt, dass sie die Winterstromproblematik sehr ernst nimmt. Ich bin nun gespannt, inwiefern sie diesem Bekenntnis Taten folgen lässt und bei der finanziellen Förderung der einheimischen Stromproduktion von ihrer Ideologie abrückt. Von der linken Seite wiederum erwarte ich, dass nicht alles verhindert wird, was Auswirkungen auf die Umwelt hat. Die Stromproduktion hat nun mal gewisse Auswirkungen auf die Natur. Aus meiner Sicht müssen wir den Schutz der Umwelt und den Nutzen der erneuerbaren Stromproduktion neu bewerten.
energate: Aber ganz konkret: Reichen die Massnahmen – so wie sie der Bundesrat nun im Gesetz vorgeschlagen hat -, um die Kernkraftwerke rechtzeitig zu ersetzen?
Wismer-Felder: Der Bundesrat hat den Eindruck, dass die Massnahmen ausreichen. Andere Kreise sind hier etwas skeptischer, etwa weil sie das Potenzial von Energieeinsparungen und damit den künftigen Stromverbrauch anders beurteilen. Auch ich persönlich zweifle daran, dass man mit dem Gesetz, so wie es jetzt vorliegt, wirklich zu dem nötigen Erneuerbaren-Zubau kommt. Der Netzzuschlag soll beispielsweise weiterhin bei 2,3 Rp./kWh belassen werden. Das wird nicht reichen.
energate: Werden Sie oder Ihre Fraktion bei der Beratung des Gesetzes also einen Antrag für einen höheren Netzzuschlag stellen?
Wismer-Felder: Ob wir einen solchen Antrag stellen werden oder ihn allenfalls unterstützen würden, kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Das müssen wir innerhalb der Fraktion noch vorbesprechen. Zu beachten ist einfach, dass das Gesetz letztlich auch mehrheitsfähig bleiben muss. Hierfür müssen wir das Machbare vom Wünschbaren trennen. Das hat uns auch die Abstimmung zum CO2-Gesetz gezeigt.
energate: Sehen Sie noch weitere Schwachpunkte am Gesetzesentwurf?
Wismer-Felder: Investitionsbeiträge sind nicht das Mittel für alle Technologien respektive Anlagegrössen. Wir haben uns ja bereits in der Vernehmlassung dafür ausgesprochen, dass für Grossanlagen das Modell der wettbewerblichen Ausschreibung gleitender Marktprämien implementiert werden sollte. Einmalige Investitionsbeiträge eignen sich dagegen nur gut für Kleinerzeugungsanlagen.
energate: Und was ist mit den Bewilligungsverfahren?
Wismer-Felder: Auch hier müssen wir endlich Lösungen finden. Sie wissen ja: Unsere Stromkonzerne investieren sehr viel Geld in erneuerbare Energien, nur leider geht der grösste Teil davon ins Ausland. Dabei ist es nicht so, dass unsere Energiekonzerne nicht in der Schweiz investieren wollten. Sie wissen aber, dass die Umsetzung eines Erneuerbaren-Projekts hierzulande sehr, sehr lange dauert und dann teilweise auch noch scheitert. Wenn sie hingegen in Projekte im Ausland investieren, dann haben sie innerhalb von drei bis vier Jahren zählbare Ergebnisse. Die Bewilligungsverfahren müssen also vor allem schneller werden. Hierzu müsste man die entsprechenden Fristen überarbeiten. Zudem könnte ich mir vorstellen, dass Projekte von gewisser Grösse nicht sämtliche Stufen durchlaufen müssen, sondern diese gleich auf einer höheren rechtlichen Ebene behandelt werden. Das Verbandsbeschwerderecht möchte ich hingegen nicht grundsätzlich in Frage stellen. Das fände ich aus demokratischer Sicht problematisch.
energate: Ihr Punkt mit den Projekten von gewisser Grösse erinnert mich an einen Vorstoss der Energiekommission des Nationalrats. Die Abwägung verschiedener nationaler Interessen soll demnach bei besonders wichtigen Erneuerbaren-Projekten im Rahmen einer sogenannten Positivplanung und nicht erst im konkreten Bewilligungsverfahren erfolgen (energate berichtete). Sie haben den Vorstoss trotz Verweis des Bundesrats auf verfassungsrechtliche Probleme unterstützt. Warum?
Wismer-Felder: Was die Verfassung zulässt und was nicht, wird nicht von allen Akteuren gleich beurteilt. Ich persönlich bin überzeugt davon, dass es bei den entsprechenden Fragen noch rechtlichen Spielraum gibt und dass es diesen auszunutzen gilt. Gleichzeitig denke ich aber auch, dass wir nicht glauben sollten, mit dieser Positivplanung wären dann alle Probleme gelöst. Nehmen wir zum Beispiel den Runden Tisch Wasserkraft. Das ist auch ein sehr guter Ansatz und trotzdem wurden die wirklich grossen Schritte vorwärts noch nicht gemacht. Vor diesem Hintergrund bin ich mir auch sicher, dass bei der Behandlung des von Ihnen angesprochenen Bundesgesetzes Anträge gestellt werden, die auf die Bewilligungsproblematik abzielen. Dass mit steigender Dringlichkeit des Problems auch die Bereitschaft, gewisse Schritte zu unternehmen, steigt, stimmt mich dabei positiv.
Mario Graf, energate-Redaktion Olten