25. Februar 2022

Thomas Tribelhorn über erneuerbare Möglichkeiten im Energiesektor

Herr Tribelhorn, seit drei Dutzend Jahren ist ADEV eine Pionierin der dezentralen Energieversorgung. Die ist notwendig, aber reicht sie auch aus?
Thomas Tribelhorn: Wir von der ADEV sind überzeugt, dass die Schweiz problemlos und vollständig mit dezentral produzierter, erneuerbarer Energie versorgt werden kann – auch im Winterhalbjahr. Die aktuellen Diskussionen um eine angebliche Strommangellage erachten wir als Versuch der Atom- und Gaslobby, ihre Pfründe zu retten.

Das ist aber eine harte Aussage…
Ja, denn bei allen erneuerbaren Energieträgern sehen wir noch massives Ausbaupotenzial: Bei Gross- und Kleinwasserkraftwerken, bei der Windenergie, wo wir unserem Nachbarland Österreich trotz ähnlicher klimatischer Bedingungen weit hinterherhinken, sowie beim schnellen Ausbau der Photovoltaik. Gerade die Solartechnologie macht immer noch grosse Fortschritte: Ich denke an Fassadenmodule oder die Aufstellung von Dachmodulen in zwei Himmelsrichtungen im hochalpinen Gebiet.

Ein grosses Augenmerk muss weiter darauf liegen, Überschüsse vom Sommer in den Winter zu speichern. Die Schweiz hat diesbezüglich mit ihren Pumpspeicherwerken eine hervorragende Ausgangslage. Weitere Möglichkeiten zur Speicherung von Strom sind Quartierbatterien, Power-to-Gas (Wasserstoff) oder die Nutzung der gesamten Elektroautoflotte als Schwarmspeicher mittels Smart Grid (Stichwort «Bidirektionales Laden»). Das sind alles schon heute bekannte und fertig entwickelte Technologien, welche sofort eingesetzt werden können.

Im Jahr 2020 produzierte die ADEV Gruppe 37 Gigawattstunden ökologischen Strom und 17,3 GWh Ökowärme. Wo wollen Sie zu Ende 2021 stehen?
Bei der Stromproduktion peilen wir wieder eine ähnliche Produktionsmenge wie in 2020 an. Unter dem Strich käme dies für uns einer schönen Steigerung gleich, da im vergangenen Jahr unser produktionsstärkstes Wasserkraftwerk Untere Emmengasse wegen einer Sanierung während 10 Monaten trockenlag. Finanziell wurde der Ausfall zwar vom Bund entschädigt, aber in der Jahresbilanz werden uns wohl circa drei Gigawattstunden fehlen. Zudem haben wir per Anfang Jahr unsere zwei altgedienten, kleineren Windturbinen in Ettenheim und auf dem Grenchenberg vom Netz genommen. Beide Anlagen haben ihre technische Lebensdauer erreicht und wurden inzwischen abgebaut.

Unsere Wärmeproduktion möchten wir auf rund 20 Gigawattstunden steigern. Mit dem Ausbau bestehender Wärmeverbünde, dem Bau zweier neuer Netze und dem Kauf eines bestehenden Verbundes werden wir dieses Ziel hoffentlich erreichen.

Bis 2050 sollen 38 Prozent der schweizerischen Wärmeproduktion aus Nah- und Fernwärmenetzen stammen. Wie ist das zu schaffen?
Die technischen Möglichkeiten sind längst vorhanden. Es ist einzig noch eine Frage des politischen Willens. Der massive Fernwärmeausbau in der Stadt Basel zeigt, dass es möglich ist, ambitionierte Ziele zu erreichen, wenn alle am selben Strick ziehen. Die Schweiz gibt als Volkswirtschaft jedes Jahr 12 bis 13 Milliarden Franken für den Import von fossilen Energieträgern wir Erdöl und Erdgas aus politisch instabilen Regionen aus. Mit diesem Geld könnte eine Infrastruktur gebaut werden, die mindestens 50 Jahre Bestand hat und mit lokalen Energieträgern wie Holz, Erdwärme oder Wärme aus Oberflächengewässern und weiteren Quellen (ARA, Grundwasser, et cetera) betrieben wird.

Gerade die zu starke Erwärmung unserer Seen oder Flüsse ist schon heute eine grosse Herausforderung, und die Problematik wird noch zunehmen. Wenn man den Oberflächengewässern mittels Wärmepumpen Wärme entzieht, hilft dies auch der Fauna der Oberflächengewässer und schützt unsere Biodiversität.

Die ADEV Energiegenossenschaft hat mittlerweile vier statt drei publikumsgeöffnete Aktiengesellschaften. Was hat sich dadurch verbessert?
Vier Tochtergesellschaften existieren seit gut 20 Jahren und sind nach Technologie gegliedert: ADEV Solarstrom AG, ADEV Windkraft AG, ADEV Wasserkraftwerk AG und ADEV Ökowärme AG. Die ADEV Ökowärme AG wurde erst im Jahr 2019 für das Publikum geöffnet, um grössere Wärmeverbünde zu realisieren.

Mit unserem Portfolioansatz können wir die Risiken innerhalb der ADEV-Gruppe besser aufteilen: Wenn die Sonne nicht scheint, bläst dafür der Wind. Wasser fliesst fast immer, und wenn es kalt ist, schaltet sich die Heizung ein. Interessierte Investorinnen und Investoren haben bei uns die Möglichkeit, sowohl als Genossenschafterin der ADEV Energiegenossenschaft in sämtliche Technologien gleichzeitig zu investieren, als auch als Aktionär eine einzelne Technologie spezifisch zu wählen.

Die Aktien der drei Gesellschaften ADEV Solarstrom AG, ADEV Windkraft AG und ADEV Wasserkraftwerk AG können auf den beiden ausserbörslichen Handelsplattformen OTC-X der Berner Kantonalbank und der Plattform der Bank Lienhardt & Partner gehandelt werden. Dies ermöglicht den elektronischen den Handel der ADEV Aktien zu attraktiven Konditionen und erhöht die Liquidität der Aktien für interessierte Anleger. In naher Zukunft könnte allenfalls auch die ADEV Ökowärme AG auf diesen Handelsplattformen gelistet werden.

Die stark wachsende ADEV Ökowärme AG – seit 2015 hat sich deren Wärmeproduktion verdreifacht – zahlt seit zwei Jahren keine Dividende. Wann könnte das denn wieder soweit sein?
Im Moment investieren wir sehr viel in neue Wärmeverbünde. Typischerweise entfällt der Grossteil der Investitionen auf die ersten beiden Jahre: für die Heizung, die Erstellung des Wärmenetzes sowie die Unterstationen und Hausanschlüsse. Das volle Potenzial des Endausbaus mit weiteren Hausanschlüssen wird erst nach drei bis fünf Jahren erreicht. Erst wenn alle Hausanschlüsse das erste volle Betriebsjahr laufen, wirft ein Fernwärmeprojekt in der Regel Gewinne ab.

Deshalb zielt der Verwaltungsrat der ADEV Ökowärme AG erst mittelfristig auf eine Dividende in der Höhe, wie sie auch andere ADEV-Gesellschaften ausweisen. Das Interesse an der ADEV Ökowärme AG ist jedoch ungebrochen: Ende November konnten wir in weniger als vier Wochen eine erneute Aktienkapitalerhöhung vorzeitig abschliessen, da die ausgegebenen Aktien bereits überzeichnet waren.

Blockheizkraftwerke, die sowohl Strom als auch Wärme für die Beheizung der Gebäude aus Erdgas produzieren, haben einen sehr hohen Wirkungsgrad. Spricht das nicht für die Beibehaltung von Gas im weltweiten Energiemix?
Auch die ADEV betreibt noch einzelne Wärmeverbünde mit Blockheizkraftwerken (BHKW). Die negativen Folgen des CO2-Ausstosses übertreffen aber die genannten Vorteile. Eine Beibehaltung von Gas als Energieträger im weltweiten Energiemix ist für mich deshalb ausgeschlossen. Neue BHKW machen aus meiner Sicht nur dann Sinn, wenn sie mit Biogas aus organischen Abfällen und Biomasse, oder mit Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen betrieben werden.

Für 2021 plant die ADEV einen Zubau bei Solaranlagen von 800 kW. Sind Sie da auf der Ziellinie?
Prinzipiell sind wir beim Zubau auf Kurs. Gleichzeitig erhalten wir vermehrt Anfragen von Anlagenbesitzerinnen und -besitzern, die ihre Anlagen zurückkaufen möchten. Auch wir spüren, dass viel Geld für Investitionen im Umlauf ist.

Luft nach oben hat die Solarbranche ohnehin. Das besonders bei flächigen Anlagen, etwa auf Staumauern, Lärmschutzwänden, Galerien. Was kann da der Staat tun?
Einerseits sollten Bund und Kantone als Eigentümerinnen solcher Flächen endlich ihre Vorbildfunktion wahrnehmen und Anlagen auf der eigenen Infrastruktur realisieren. Andererseits braucht es dringend eine Verbesserung der Rahmenbedingungen: Ich denke da insbesondere an die Rückliefertarife, welche die Netzbetreiber für den ins Netz eingespiesenen Strom an die Produzentinnen bezahlen. Diese müssen fair und langfristig stabil sein, um den Investoren die Sicherheit ihrer Investitionen über 20 Jahre nach dem Bau der Anlagen zu garantieren.

Werden die grundstücksübergreifenden Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (ZEV) in diesem Jahrzehnt der grosse Treiber für die ADEV Solarstrom-Sparte werden?
ZEV haben ein grosses Potenzial, den Solarstromzubau zu beschleunigen. Hier sollte der Gesetzgeber unbedingt dafür sorgen, auch virtuelle Zusammenschlüsse zu ermöglichen. Zurzeit blockieren die monopolistischen Energieversorger solche virtuellen Verbrauchsgemeinschaften noch.

Wie sieht für Sie die beste Lösung gegen Missbrauch der Stromherkunftsnachweise aus?
Die Netz- und Durchleitungspreise von Strom über das öffentliche Stromnetz müssen regionalisiert werden. Momentan sind die Preise für die Durchleitung vom Wasserkraftwerk in Norwegen gleich teuer, wie von der Produktionsanlage auf der anderen Seite der Strasse. Dieser Missstand muss EU-weit gelöst werden. In der Schweiz könnten wir regionale Netztarife einführen, welche sich zum Beispiel nach der Distanz zwischen Produktions- und Verbrauchsort bemessen. Auf jeden Fall muss die Gesetzeslage so geändert werden, dass regionale Netztarife in der Schweiz Pflicht werden.

Einige der Windkraftprojekte der ADEV sind juristisch blockiert. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten. Was wäre der?
Ich würde mir wünschen, dass die Bewilligungsverfahren von heute bis zu 20 Jahren auf maximal drei bis fünf Jahre massiv verkürzt werden.

Zum Interview auf Moneycab.com