11. August 2021
Soll die alte Energiewelt tatsächlich die Zukunft sein?
Die Klimakrise ist auf der Agenda hoch nach oben gerückt. Die Medien berichten täglich: Klimastreiks, Klimawahl, Flugticketabgabe, CO2-Gesetz, Energiewende. Letztere erlebt derzeit ein regelrechtes «Bashing»: Alles laufe schief mit der Energiewende. Sie werde nie funktionieren. 2017 sei ein Fehlentscheid passiert, den wir teuer zu bezahlen hätten.
Ich frage mich: Woher kommt diese massive und (man wird den Verdacht nicht los) gut orchestrierte Kritik an der Energiewende? Und was wäre eigentlich die Alternative dazu? Die alte Welt? Fossil und nuklear? Das eine ist der Ursprung der Klimakrise und das andere schafft gewaltige Probleme für Zehntausende von Jahren. Ganz zu schweigen von den Kosten, die gerade bei Atomkraftwerken kein Investor mehr bereit ist zu zahlen, ausser der Staat garantiert fixe und überhöhte Abnahmepreise für den produzierten Strom (Beispiel England). Wir meinen: keine echte und vor allem keine nachhaltige Alternative zum Aufbau eines erneuerbaren Energiesystems. Trotzdem: eine Berichterstattung dazu sucht man vergebens.
Dabei ist die Ausgangslage längst geklärt. Es gibt heute mindestens zwei politische Entscheide, demokratisch legitimiert, die uns in dieser Frage leiten müssen. 2017 hat die Schweizer Bevölkerung mit grosser Mehrheit Ja gesagt zu einem neuen Energiegesetz und damit zum Ausstieg aus der alten nuklearen und fossilen Energiewelt. Und das Parlament hat im gleichen Jahr nachgedoppelt und das Pariser Klimaabkommen ratifiziert. Bis dato war es so, dass in der Schweiz, was demokratisch entschieden wurde, auch umgesetzt wurde. Was aber passiert, ist das Gegenteil. Wo immer möglich mobilisieren die Anhänger der alten Welt gegen diese Entscheide. Sei es in den Kantonen, wenn sie die Revision kantonaler Energiegesetze bekämpfen, sei es im Parlament, wenn sie im ersten Anlauf die Revision des CO2-Gesetzes versenken, sei es in Kommentaren und Berichten, in denen sie das Neue schlecht reden und das Alte in den Himmel loben.
Wir dürfen und müssen kritisieren, was schlecht läuft an der Umsetzung der Energiewende. Es bedeutet aber nicht, die Demokratie auf den Kopf zu stellen und Sturm zu laufen gegen Entscheide, die von der Bevölkerung getragen werden. Vielmehr müssen wir uns fragen, wo die Rahmenbedingungen optimiert und angepasst werden müssen, damit die Energiewende zügiger und konsequenter umgesetzt werden kann. Wenn der Zubau erneuerbarer Energien, die übrigens heute die günstigste Form der Energieproduktion sind, stockt oder zu langsam vorwärtskommt, müssen die tatsächlichen Ursachen auf den Tisch. Zum Beispiel: Es braucht mehr Verlässlichkeit und widerspruchsfreie Signale der Politik. Es braucht einen verbindlichen Ausbaupfad für erneuerbare Energien. Es braucht Investitionsanreize, die der Dimension eines Generationenprojektes gerecht werden (Man baut ein neues Energiesystem schliesslich nicht in 5 oder 10 Jahren.). Es braucht vereinfachte Bewilligungsverfahren und mehr Zusammenarbeit zwischen Gemeinden, Kantonen und dem Bund. Es braucht eine Roadmap zum Ausbau der Energiespeicher und zur Optimierung der Netz- und Leitungsinfrastruktur. Es braucht Spielregeln, die es privaten und institutionellen Anlegern erlauben, ihr Kapital auch in Schweizer Energieanlagen zu investieren. Es braucht Forschung und Entwicklung. Die Schweiz als Innovationsweltmeister kann das. Und es braucht schliesslich viel Kommunikation und einen offenen Dialog mit der Bevölkerung.
Wir brauchen Vieles, aber vor allem den klaren Willen, dass man die neue Energiewelt stemmen will. Eine halbe Energiewende, wie sie derzeit von Teilen der Politik angestrebt wird, wird zu keinem befriedigenden Resultat führen. Nur nörgeln und keine echten Lösungen aufzeigen, ist wenig zielführend. Wir haben zur Energiewende als zentrale Antwort auf die Klimakrise keine Alternative. Denken wir daran: Es war die alte Welt der fossilen Energien und Grosskraftwerke, die uns in diese Krise geführt hat. Sich darauf zu verlassen, dass uns ein Zurück in die Vergangenheit die Zukunft sichern kann, ist fahrlässig und zeugt von wenig Mut und Weitsicht. Auch weil wir viele positive Signale haben, dass der Umbau im Gange ist und immer mehr Fahrt aufnimmt. Beispiele dafür: Heute produzieren wir 6 Prozent unserer Energie aus Photovoltaik, Wind, Kleinwasserkraft und Biomasse – vor zehn Jahren bewegten wir uns noch im Promillebereich. Die CO2-Einsparungen im Gebäudepark lagen 2017 bei 26.4 Prozent gegenüber dem Jahr 1990. Fossile Wärmeerzeugung wird zu Recht zurückgedrängt. Hauseigentümer tun gut daran, auf erneuerbare Wärmelösungen zu setzen. Die Elektromobilität überrascht aktuell mit monatlichen Wachstumsraten bei der Zulassung von Neuwagen von bis zu 200 Prozent. Tesla sei Dank! Energieversorger investieren den Grossteil ihrer Mittel in erneuerbare Energien (leider noch vor allem im Ausland) und in den Aufbau von Dienstleistungen für mehr Energieeffizienz. Der Pro/Kopf-Stromverbrauch geht seit 2010 kontinuierlich zurück trotz solidem Wirtschaftswachstum – 2018 erneut um 2.15 Prozent.
Warum also dieses permanente Zweifeln an einer Entwicklung, die stattfindet (wenn auch noch viel zu langsam) und alternativlos ist? Wir wissen es nicht. Wir halten uns an den Volksauftrag und an die Empfehlungen der Wissenschaft: Die Klimakrise braucht eine ernsthafte und kraftvolle Antwort. Es gibt nur eine Antwort: Energiewende – keine halbe, sondern eine mit voller Kraft voraus.
Stefan Batzli, Co-Geschäftsführer AEE SUISSE