8. Mai 2022

Replik auf economiesuisse: 6 Punkte-Programm für echte Versorgungssicherheit

economiesuisse hat unlängst ein 5 Punkte-Programm aufgelegt, das beschreibt, wie aus Sicht der Wirtschaft die Stromversorgungssicherheit gewährleistet werden kann. Der Verband beurteilt die Situation kritisch. Er weist darauf hin, dass die Elcom bereits in den nächsten Jahren eine Strommangellage befürchtet.

Die aeesuisse teilt die Ansicht, wonach der Versorgungssicherheit höchste Priorität eingeräumt werden muss. Anders als economiesuisse setzt die aeesuisse aber konsequent auf den Zubau erneuerbarer Energien und die Energieeffizienz und sie orientiert sich übergeordnet am Volksentscheid von 2017 zur Energiestrategie 2050 mit dem langfristigen Ausstieg aus der Atomenergie sowie am ratifizierten Pariser Klimaabkommen und am Netto-Null Ziel des Bundesrates. Die aeesuisse vertritt dezidiert die Position, dass die Schweiz erfolgreicher ist, wenn sie auf Innovation und Fortschritt setzt und nicht länger alten, in die Jahre gekommenen Energiekonzepten nachtrauert.

Konkret fordert die aeesuisse in Ergänzung und teils auch in Abgrenzung zu economiesuisse sechs konkrete Massnahmenpakete zur Bereitstellung einer sicheren und verlässlichen Stromversorgung.

  1. Konsequenter und beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien
    Energiesysteme sind umso sicherer, je breiter abgestützt und diversifizierter aufgesetzt sie sind. Das Konzept einer dezentralen Energieversorgung, basierend auf den beiden zentralen Pfeilern Wasserkraft und Solarenergie ergänzt mit weiteren erneuerbaren Energien, garantiert auf der Grundlage von Vielfalt und Menge an kleinen und grossen Produktionsanlagen grösstmögliche Versorgungssicherheit. Der schleppende Zubau an erneuerbaren Energien muss deshalb aufgebrochen werden und es sind Rahmenbedingungen zu gestalten, die einen jährlichen Zubau von 1‘500 – 2‘000 MW rasch möglich, und entsprechende Investitionen in der Schweiz attraktiv machen. Der Systemfehler, der im ersten Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050 angelegt ist, weil der Finanzierungsrahmen für den Aufbau einer erneuerbaren Energieinfrastruktur auf 6 Jahren beschränkt wurde, muss beseitigt werden. Neu sind Finanzierungsinstrumente festzulegen, die sich an den Ausbauzielen orientieren und solange aktiviert bleiben, bis der gesamte Umbau des Energiesystems abgeschlossen ist. Dadurch entsteht Kontinuität im Umbau und nur so wird langfristig Planungs- und Investitionssicherheit geschaffen.
  2. Förderung des Wettbewerbs und Zulassung marktwirtschaftlicher Finanzierungsinstrumente
    Die Transformation der Energieinfrastruktur braucht im Kontext eines wettbewerblichen europäischen Strommarktes ein verlässliches und langfristig ausgerichtetes Finanzierungsdesign für neue erneuerbare Produktionskapazitäten. Die Zeit der befristeten «Förderregelungen» muss durch langfristige «Finanzierungsregelungen» abgelöst werden. Dabei geht es in erster Linie darum, das Problem des Marktpreisrisikos in wettbewerblichen Strommärkten adäquat abzubilden. Das Instrument der gleitenden Marktprämie auf Basis wettbewerblicher Ausschreibungen hat sich europaweit als effizientestes und kostengünstigstes Finanzierungsinstrument durchgesetzt. Dabei funktioniert die Prämie so, dass sie nicht nur dem Investor die Risiken nach unten absichert, sondern den Finanzierungsfonds bei hohen Strompreisen auch entlastet, weil erzielte Mehrerlöse wieder abgeschöpft werden. Die aktuell hohen Preise zeigen diese Vorteile: Das Vermögen des Netzzuschlagsfonds nimmt aktuell stetig zu. Damit wird wertvolles Geld für den Zubau erneuerbarer Energien gespart. Informationen aus der Energiewirtschaft zeigen, dass die Strompreise auch in Zukunft kaum unter die Gestehungskosten insbesondere günstig produzierender PV-Anlagen fallen werden. Damit decken bei den aktuell hohen Strompreisen viele Energieprojekte ihre Kosten aus dem Markt.
  3. Stromversorgungssicherheit hat einen Wert und seinen Preis
    Auch economiesuisse anerkennt die Wichtigkeit eines rascheren Ausbaus der erneuerbaren Energien. Der Dachverband reflektiert den Energiemarkt aber ungenügend, wenn er davon ausgeht, dass diese beschleunigte Transformation kostenneutral über eine Reduktion des kalkulatorischen Zinssatzes (WACC) des Stromnetzes zu haben ist. Über eben diesen werden die Netze nicht nur in Stand gehalten, sondern auch modernisiert und ausgebaut. Eine Reduktion des WACC bedeutet nichts anderes als Raubbau an Qualität und Stabilität der Stromnetze.Vielmehr braucht es über ein marktnahes Finanzierungsmodell genügend finanzielle Mittel und Sicherheiten, die vermeiden helfen, dass sich erneut eine stop-and-go-Politik einstellen kann. Damit dies gelingt, muss eine Verschuldungsmöglichkeit des Netzzuschlagsfonds eingerichtet werden. Kombiniert mit der Einführung einer gleitenden Marktprämie können bereits auf dieser Basis tiefere Strompreise ausreichend ausgeglichen werden. Sollte sich aber abzeichnen, dass die Mittel knapp werden, muss der Bundesrat die Kompetenz haben, rasch und unbürokratisch den maximalen Netzzuschlag zu erhöhen. Dazu kommt ein spezifischer und für die Wirtschaft tragbarer Finanzierungsbeitrag für den Winterzubau. Tragbar deshalb, weil bei fehlender Versorgungssicherheit enorme Kosten auf die Wirtschaft zukommen könnten, sollte sich in den Wintermonaten eine Strommangellage einstellen. Es gibt deshalb keinen Grund, weshalb einzig die Konsumentinnen und Konsumenten für diese Sicherheit und die dazugehörenden Investitionen in den Ausbau von Winterstromkapazitäten aufzukommen haben. Nutzen und Mehrwert, den die Wirtschaft für eine stabile Winterversorgung zurückerhält, übertrifft um ein Mehrfaches den zu leistenden Finanzierungsbeitrag.
  4. Keine Subventionierung alter Technologien
    Überraschenderweise fordert economiesuisse neu auch die Möglichkeit einer noch stärkeren Subventionierung der Atomenergie, begleitet von der Forderung nach Technologieoffenheit. Was heisst marktwirtschaftlich und Technologieoffenheit? In letzter Konsequenz nichts anderes, als dass jede Technik alle externen Kosten internalisieren und unbeschränkt selber für verursachte Schäden haften muss. Eine markteffiziente und technologieoffene Lösung entsteht nur auf der Grundlage einer vollständigen Kostentransparenz. Dazu kommt, dass die Atomenergie aufgrund ihrer Fristigkeit, ihrer Verfügbarkeit sowie der hohen Kosten keine echte Alternative für die Versorgungssicherheit sein kann. Gerade die Kosten laufen bei Atomenergieprojekten regelmässig aus dem Ruder. Die Internationale Energie Agentur IEA hat letzthin in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass neue Solar- und Windkraftwerke die historisch kostengünstigste Form der Energiebereitstellung sind. Aus rein energiewirtschaftlicher Sicht hilft zwar eine Lebensdauerverlängerung der bestehenden Atomkraftwerke. Diese werden aber mit zunehmendem Alter immer unzuverlässiger, bedingen deshalb die (teure) Sicherstellung jederzeitiger Backup-Leistung. Die Kosten solcher Notfall-Optionen sind immens und schränken die verfügbare grenzüberschreitende Leitungskapazität ein und damit das internationale Handelsgeschäft. Statt einer weiteren Vergreisung unseres Kraftwerkparks sollten die verfügbaren Mittel raschmöglichst in den Ausbau zukunftsfähiger Technik investiert werden.
  5. Versorgungssicherheit und Klimaschutz gehören zusammen
    Wir sehen in der Forderung nach mehr Klimaschutz keinen Widerspruch zur Versorgungssicherheit. Klimaschutz gibt es nur mit der Energiewende und damit mit einem beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stärkung der Energieeffizienz. Wir teilen aber die Analyse von economiesuisse, dass es an Ausgewogenheit der Interessen zwischen Schutz und Nutzen fehlt. Um einen zielführenden Ausbau der erneuerbaren Energien, Netze und Speicher zu ermöglichen, sollten die Bewilligungsfähigkeit und das Bewilligungstempo von allen Anlagen zur Nutzung und Speicherung erneuerbarer Energien zwingend optimiert werden. Eine Beschleunigung der Verfahren für die Infrastrukturen der Energieversorgung leistet einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Ziele der Energie- und Klimastrategie, weil damit die Attraktivität für Investitionen im Inland verbessert wird. Darüber hinaus sind aber weitere Massnahmen nötig. Diese müssen insbesondere bei der Güterabwägung zwischen Schutz und Nutzen ansetzen. Heute findet diese Abwägung von Interessen erst am konkreten Projekt und in jedem Einzelfall statt. Damit wird die Klärung grundlegender Interessenskonflikte an die Gerichte delegiert, was zu jahrelangen Verfahren und Verhandlungen führt. Wir fordern deshalb ein deutliches politisches Bekenntnis zugunsten der erneuerbaren Energieproduktion und der zugehörigen Netzinfrastruktur, weil nur so die angestrebte Beschleunigung des Ausbaus in der ganzen Breite zu erreichen ist. Uns scheint es dabei zentral, dass die Interessen an der Energieproduktion und der Verteilung als mindestens gleichwertig mit allfälligen Schutzinteressen beurteilt und gewichtet werden. Es braucht eine übergeordnete Güterabwägung, die den unerlässlichen Beitrag einer auf erneuerbaren Energien basierenden Energieversorgung und der dafür notwendigen Netzinfrastruktur an den Klimaschutz und somit an den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen bzw. der Biodiversität erkennt und würdigt.
  1. Energieeffizienz: Jede gesparte Kilowattstunde zählt
    Jeder Einsatz von Energie muss effizient erfolgen. Das bedingt, dass Massnahmen zur Stärkung der Energieeffizienz im Fokus stehen müssen. Die Kilowattstunde, die nicht verbraucht wird, entlastet die Produktion und trägt damit zur Versorgungssicherheit bei. So lassen sich beispielsweise rund 2 TWh Strom pro Jahr einsparen, wenn die heute installierten Elektrospeicherheizungen durch Wärmepumpen ersetzt werden. Insbesondere in den Wintermonaten sind dies wertvolle Beiträge zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit.Allein im Gebäudebereich darf davon ausgegangen werden, dass ein grosser Teil der für die Wärmeaufbereitung und den Betrieb der Gebäude eingesetzten Energien eingespart werden könnte. Die Energieperspektiven 2050+ gehen von einem möglichen Effizienzgewinn von 22 TWh aus (Raumwärme 19 TWh, Warmwasser 2 TWh, Klima, Lüftung und Haustechnik TWh). Das Abschöpfen dieser Energieeffizienz wird erfolgreich über das Gebäudeprogramm realisiert, dessen Mittel über die Teilzweckbindung der CO2-Abgabe bereitgestellt werden.