23. Juni 2021
Gut fürs Klima und die Wirtschaft
Im Herbst 2020 hat das Schweizer Parlament eine Gesetzesrevision verabschiedet, welche Massnahmen und Ziele bezüglich der Emission von CO2 regelt. Gegen dieses Gesetz wurde das Referendum ergriffen, weshalb die Schweizer Stimmbevölkerung am 13. Juni 2021 über diese richtungsweisende Vorlage abstimmen kann.
Der Klimawandel zeigt sich in der Schweiz besonders ausgeprägt. Seit 1864 hat sich die Durchschnittstemperatur um rund 2° C erhöht. Das ist doppelt so stark wie im weltweiten Durchschnitt. Die Folgen sind spürbar: Die Gletscher in der Schweiz schmelzen und sie verlieren seit einigen Jahren immer schneller an Volumen. So sind seit 2010 rund 10 % des gesamten Gletschervolumens dahingeschmolzen. Der Klimawandel entwickelt sich auch in der Schweiz zur Klimakrise. Häufigere Hitzewellen und Trockenperioden, intensivere Niederschläge, mehr Hochwasser und Erdrutsche sind die Folgen.
In Seen und Flüssen steigen die Temperaturen. Der Klimawandel verändert die Umwelt und er verursacht grosse Schäden und hohe Kosten. Dazu Gunthard Niederhäuser, Bereichsleiter Nichtleben und Rückversicherung beim Schweizerischen Versicherungsverband: «Der Klimawandel bedroht die Gesellschaft und die globale Wirtschaft. Nicht zuletzt auch aus geschäftlichen Überlegungen haben die Versicherungen ein grosses Interesse daran, die potenziellen Umweltschäden gering zu halten. Die Versicherungen müssen sich künftig vermehrt die Frage stellen, welche Risiken sie noch versichern wollen. Einzelne Versicherer nehmen schon heute keine Unternehmen mehr in ihr Portfolio, die die Mehrheit ihres Umsatzes mit Kohle erwirtschaften. Der Ausstieg aus Industrierisiken, die das Klima stark schädigen, darf kein Tabu mehr sein.»
Ausstoss von Treibhausgasen muss reduziert werden
Es ist heute unbestritten, dass die Treibhausgasemissionen Grund für den beobachteten Temperaturanstieg sind. Deshalb ist auch klar, wo Interventionen ansetzen müssen: Überall dort, wo diese Emissionen entstehen, im Verkehr, bei der Industrie, in den Haushalten oder in der Landwirtschaft. Insbesondere in den Sektoren Verkehr und Industrie/Haushalte besteht Handlungsbedarf. 2019 hat der Bundesrat das Netto-Null-Ziel proklamiert. Bis 2050 sollen die Treibhausgasemissionen der Schweiz auf netto null reduziert werden. Damit befindet sich die Schweiz international in guter Gesellschaft. 189 Staaten und die EU haben das Pariser Klimaabkommen ratifiziert und sich zu einer Reduktion der Treibhausgase verpflichtet, darunter auch die Schweiz. Alle Länder sind jetzt aufgefordert, konkrete Massnahmenpläne vorzulegen, die helfen, dieses Ziel zu erreichen. Das Parlament hat dazu im Herbst 2020 das revidierte CO2-Gesetz verabschiedet, das Ziele und Massnahmen bis 2030 regelt. Dagegen wurde das Referendum ergriffen. Am 13. Juni 2021 stimmt die Schweiz über diese Klimavorlage an der Urne ab.
Breiter Massnahmenmix bringt die Schweiz auf Klimakurs
Mit dem revidierten CO2-Gesetz werden die Grundlagen gelegt, damit die Schweiz ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 50 % gegenüber 1990 senken kann. Dabei sollen 75 % der Reduktion im Inland und 25 % im Ausland erreicht werden. Im Kern fokussiert das revidierte CO2-Gesetz einen ausgewogenen und pragmatischen Massnahmenmix bestehend aus finanziellen Anreizen, Investitionen und neuen Technologien. Im Detail beinhaltet das Gesetz unter anderem folgende zentralen Massnahmen:
Die CO2-Abgabe, die bereits 2008 eingeführt wurde, wird als Lenkungsabgabe weitergeführt. Das Prinzip ist einfach: Wer viel CO2 verursacht, zahlt viel, andere weniger. Damit wird klimafreundliches Verhalten direkt belohnt. Der Bund erhebt auf fossilen Brennstoffen wie Heizöl, Erdgas oder Kohle eine Abgabe. Die Höhe der Abgabe bestimmt der Bundesrat. Auf der Grundlage des aktuellen Gesetzes kann er diese maximal auf 120 Franken pro Tonne CO2 (zirka 30 Rappen pro Liter Heizöl, zirka 2,4 Rappen pro kWh Erdgas) anheben. Mit dem neuen revidierten Gesetz erhält der Bundesrat die Kompetenz, die Abgabe auf 210 Franken pro Tonne CO2 (zirka 50 Rappen pro Liter Heizöl, zirka 4,2 Rappen pro kWh Erdgas) anzuheben; allerdings nur, wenn der CO2-Ausstoss nicht genügend stark sinkt. Zwei Drittel der Gelder werden an die Bevölkerung und die Wirtschaft zurückverteilt. Der Rest fliesst in den Klimafonds. Jede Person erhält schon heute den gleichen Betrag über die Krankenversicherung zurückerstattet, unabhängig davon, wie viel fossile Energie sie verbraucht. 2020 waren es 87 Franken pro Person. Eine vierköpfige Familie hat demnach letztes Jahr 348 Franken aus der CO2-Abgabe zurückerhalten. Lebt die Familie in einem Haushalt, der erneuerbar heizt, hatte sie also 348 Franken jährlich mehr verfügbar.
Ergänzend zur CO2-Abgabe wird neu eine Flugticketabgabe eingeführt. Diese ist ebenfalls als Lenkungsabgabe aufgesetzt. Die Abgabe pro Passagier beträgt für Kurzstreckenflüge 30 Franken. Wer eine mittlere oder lange Strecke fliegt, soll mehr bezahlen. Das Maximum liegt bei 120 Franken. Auch hier gilt das Prinzip der Rückverteilung: Mehr als die Hälfte der Gelder wird an die Bevölkerung und die Wirtschaft zurückgeführt. Die restlichen Erträge fliessen in den Klimafonds. Mit dem Geld wird unter anderem die Entwicklung von klimafreundlichem, synthetischem Flugtreibstoff gefördert. Damit soll die Flugindustrie grüner werden. Mit den Mitteln der Flugticketabgabe, die dem Klimafonds zugewiesen werden, können zudem bis zu 30 Mio. Franken pro Jahr für ein besseres Angebot an Nachtzügen eingesetzt werden.
Klimafonds – kluges Finanzierungsinstrument
Der Klimafonds fasst die verschiedenen Finanzierungsquellen für Investitionen in den Klimaschutz zusammen. Bestehende Instrumente wie das bewährte Gebäudeprogramm oder der Technologiefonds werden unter einem Dach vereint. Die gegenseitige Durchlässigkeit zwischen den beiden Programmen wird erhöht. Der Klimafonds sichert die effiziente Finanzierung klimafreundlicher Investitionen, wie zum Beispiel die Planung und Finanzierung von Fernwärmenetzen als wichtigen Beitrag an die Dekarbonisierung des Wärmesektors oder den Aufbau von Ladestationen für Elektrofahrzeuge als zentraler Hebel für eine rasche Elektrifizierung der Mobilität. Auch wird der Fonds die Sanierung von Gebäuden und von Ersatzneubauten sowie den Einbau von CO2-freien Heizungen finanziell unterstützen. Und Schweizer Unternehmen erhalten Unterstützung, um klimafreundliche Technologien rascher auf den Markt zu bringen. Damit kann der Werk- und Forschungsplatz Schweiz seine Innovationskraft steigern und sich gleichzeitig wichtige Zukunftsmärkte sichern.
Hauseigentümer werden auch in Zukunft unterstützt
Mit dem Klimafonds wird der Fortbestand des Gebäudeprogramms, das über die bewährte Teilzweckbindung mit jährlich 450 Mio. Franken alimentiert wird, gesichert. Gelder, die den Hauseigentümern und Immobiliengesellschaften zur Verfügung stehen für die Werterhaltung und Sanierung ihrer Gebäude, wenn sie sich beispielsweise für eine energetische Dämmung von Dächern und Fassaden oder den Einsatz einer erneuerbaren Heizung entscheiden. Auch kann der Klimafonds Banken und Versicherungen gegen Risiken absichern, wenn sie klimafreundliche Sanierungen von Gebäuden finanzieren. Dies ermöglicht die Finanzierung von Härtefällen, zum Beispiel wenn Hausbesitzer Mühe haben, eine Hypothek zu erhalten.
Neben den finanziellen Anreizen werden die neuen CO2-Grenzwerte mehr Planungssicherheit für Gebäudebesitzer und Energieversorger schaffen. Gegenüber 1990 soll der CO2-Ausstoss bis 2026/27 im Durchschnitt um 50 % gesenkt werden. Das bedeutet, dass Neubauten grundsätzlich keine CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen mehr verursachen dürfen. Das ist heute bereits Standard. Bei bestehenden Gebäuden darf dagegen weiterhin CO2 ausgestossen werden. Kommt es aber zum Heizungsersatz, gilt für den CO2-Ausstoss eine Obergrenze von höchstens 20 kg CO2 pro Quadratmeter Fläche. In Fünfjahresschritten wird dieser Wert um jeweils 5 kg gesenkt. So zahlt sich eine langfristige Planung aus.
Wettbewerbsfähigkeit bleibt garantiert
Die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Unternehmen ist mit dem revidierten CO2-Gesetz garantiert. Die Vorlage bietet neu allen Firmen die Möglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz unter einen Hut zu bringen. Ob Grossbetrieb oder kleiner Gewerbe- oder Handwerksbetrieb – wer bereit ist, in Klimamassnahmen zu investieren, kann sein Unternehmen von der CO2-Abgabe befreien lassen. Das generiert zusätzlichen Nutzen, weil sich damit Emissionen und Kosten für die Unternehmen senken lassen. Ein attraktiver Deal zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit für die Schweizer Wirtschaft mit einem doppelten Effekt.
Die 50 grössten CO2-Emittenten (Industrieunternehmen) zahlen wie bisher keine CO2-Abgabe. Diese Firmen nehmen stattdessen am Emissionshandelssystem mit der EU teil.
Kosten versus Investitionen
Berechnungen und Studien zeigen, dass immense Kosten anfallen werden, wenn die Gesellschaft die Klimakrise nicht in den Griff bekommt. Diese Kosten werden jene für einen aktiven Klimaschutz – und zwar heute und in Zukunft – bei Weitem übersteigen. Die OECD beziffert die Kosten einer ungebremsten Klimaerwärmung bis 2050 auf bis zu 10 % ihrer Wirtschaftsleistung.[2] Übertragen auf die Schweiz bedeutet dies bis 4 % des Bruttoinlandprodukts.
Schon heute bezahlt die Schweiz für fossile Energielieferungen rund 8 Mrd. Franken jährlich. Damit deckt sie rund 75 % des gesamten Energiebedarfs. Eine einseitige Abhängigkeit, die die Versorgungssicherheit der Schweiz stark unter Druck setzt. Das revidierte CO2-Gesetz will hier Abhilfe schaffen und die Schweiz schrittweise von dieser Abhängigkeit befreien. Die jährlichen Milliarden sollen in Zukunft verstärkt im Inland investiert werden. Dass sich das lohnen und dass der Werk- und Forschungsplatz Schweiz davon profitieren wird, zeigen verschiedene Studien.
Die Wirtschaftsallianz «Wärmeinitiative Schweiz» beispielsweise hat 2019 in einer umfassenden Studie dargelegt, dass eine vollständige Dekarbonisierung des Wärme- und Kältesektors in der Schweiz mindestens 1,5 Mrd. Franken an zusätzlicher Wertschöpfung generiert. Auf ähnliche Ergebnisse kommt eine Studie der ZHAW, die Anfang Jahr publiziert worden ist: Beschleunigt die Schweiz zum Beispiel den Umstieg auf Elektroautos und den Ersatz von Öl- und Gasheizungen mit Wärmepumpen, würde sie allein im Jahr 2030 Kosten in Höhe von 1,65 Mrd. Franken sparen. Auch der Ersatz von Kohle bei der Zementproduktion und der Zubau von Photovoltaikanlagen bringen volkswirtschaftliche Kosteneinsparungen. Insgesamt führt die Umsetzung aller untersuchten Massnahmen zu Netto-Kosteneinsparungen von 980 Mio. Franken allein im Jahr 2030.
Das revidierte CO2-Gesetz verdient Unterstützung
Das revidierte CO2-Gesetz will klimafreundliches Verhalten belohnen, indem es der Bevölkerung und der Wirtschaft die richtigen Impulse gibt und Anreize schafft. Es setzt damit auf Innovation und Belohnung. Das revidierte CO2-Gesetz ist eine pragmatische Lösung, welche die verschiedenen Partikularinteressen unterschiedlicher Akteure gut aufgenommen hat. Mit den Mitteln aus dem Klimafonds werden Investitionen in die Infrastruktur und in Gebäude gefördert und innovative Unternehmen bei der Entwicklung und Produktion von klimafreundlichen Technologien unterstützt. Es braucht marktfähige Lösungen, die nicht mehr auf fossilen Energien basieren und die sich auch erfolgreich exportieren lassen.
Die Schweiz mischt schon heute international vorne mit bei grünen Technologien. Diese Entwicklung will das revidierte CO2-Gesetz beschleunigen und verstärken. Dabei sind die Rahmenbedingungen derart ausgestaltet, dass sie fair und bezahlbar bleiben. Die Berechnungen des Bundes, welche Kosten auf eine durchschnittliche Familie zukommen werden, sind seriös und umfassend. Demnach wird eine typische vierköpfige Familie, die einmal im Jahr mit dem Flugzeug in Europa Ferien macht, durchschnittlich viel Heizöl verbraucht und das Auto regelmässig benutzt, jährlich rund 100 Franken mehr bezahlen als bei der aktuellen Gesetzeslage. Wählt sie ein Elektroauto, halbiert sich der Betrag. Reist sie nicht per Flugzeug in die Ferien oder heizt sie CO2-frei, erhält sie sogar mehr Geld zurück als sie bezahlt.
Das revidierte CO2-Gesetz ist ein typisch schweizerischer Kompromiss. Es adressiert das Machbare und präsentiert einen wirkungsvollen, aber auch fairen Massnahmenmix. Damit bringt sich die Schweiz auf Klimakurs. Rahmenbedingungen werden geschaffen, an denen sich Bevölkerung und Wirtschaft verlässlich orientieren können. Heute und erst recht in Zukunft. Eine gute Entwicklung, die es zu unterstützen gilt.
Stefan Batzli, Geschäftsführer AEE SUISSE