21. März 2022

Blick-Beitrag: «Wir brauchen eine Solar-Anbauschlacht!»

Der Krieg heizt Versorgungsängste an. Das Resultat: Die Schweiz schreibt Rekordzahlen bei Solaranlagen und Wärmepumpen.

Acht Milliarden Franken pro Jahr lässt die Schweiz für ausländisches Öl und Gas springen. Auch Strom und Uran importiert sie in rauen Mengen. Mit anderen Worten: Die Eidgenossen haben ihre Energieversorgung nicht selber in der Hand.

Das ist ein offenes Geheimnis – doch Putins Krieg hat es mit Wucht ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Tanken und Heizen werden teurer, Versorgungsängste machen sich breit. Unabhängigkeit ist das Schlagwort der Stunde. «Wir sollten uns jetzt zusammenraufen», rief Bundesrätin Simonetta Sommaruga (61) am Mittwoch in den Nationalratssaal. Das Land müsse die Abhängigkeit von Öl und Gas reduzieren, die Erneuerbaren ausbauen und die Energieverschwendung stoppen.

Soviel Fotovoltaik auf Dächern wie nie
Damit rennt Sommaruga bei den Schweizern offene Türen ein: «Allein im Februar wurden 200’000 Solarpanels montiert», verkündete die Energieministerin gleich selbst. Ein Rekord: Noch nie wurde so viel Fotovoltaik auf unsere Dächer geschlagen. Seit 2019 wächst der Fotovoltaikmarkt um über 30 Prozent pro Jahr. 2021 meldeten die Schweizer mehr als 22’000 Anlagen mit über 1,3 Millionen Modulen an. Das entspricht einer Fläche von 300 Fussballplätzen – Strom für 100 000 Haushalte. «So wird das Ziel des Bundesrats erreicht, 2035 ein Fünftel unseres Stromverbrauchs mit Fotovoltaik zu decken», sagt Sommarugas Energiedepartement gegenüber SonntagsBlick.

Das Gleiche bei den Wärmepumpen: 34’000 Stück installierten die Schweizer im Jahr 2021. Das sind 20 Prozent mehr als im Vorjahr, so viele wie noch nie. Und auch die Pelletheizungen haben Rekordwerte erreicht: Holzschnitzel-Feuerungen decken heute zwölf Prozent unseres Raumwärmebedarfs.

Mehr grüne Energie tut not – auch darum, weil bereits jeder vierte Neuwagen einen Stecker hat. Zwölf Milliarden stellt der Bund bis 2030 für den Ausbau der inländischen Stromproduktion bereit. «Alles hängt zusammen», sagt Noah Heynen (34), CEO der Solarfirma Helion. Er bestätigt den Trend: «Unsere Auftragsbücher sind voll.» Seit Mitte 2021 habe die Nachfrage massiv zugenommen und erreicht nun einen neuen Höhepunkt. «Die Diskussion über eine drohende Stromlücke im Herbst hat der Sonnenenergie Schub gegeben. Der Krieg hat den Unabhängigkeitswillen verstärkt.» Wer über Aufrüstung und Anbauschlachten debattiere, müsse auch über Freiheitsenergie sprechen, sagt Heynen: «Wir brauchen eine Solar-Anbauschlacht!»

Die Schweiz muss aber auch raus aus den Fossilen. 190’000 Schweizer Heizungen werden heute mit russischem Gas betrieben. «Dieses Problem sind wir in drei Jahren los, wenn wir ab sofort 60 000 Heizungen pro Jahr ersetzen», sagt Grünen-Nationalrätin Manuela Weichelt (54). Aktuell werden jährlich 30’000 Anlagen ausgetauscht. Das Unterfangen würde rund 1,5 Milliarden Franken kosten – und passt damit ins Budget: Der Bund stellt insgesamt vier Milliarden Franken für Sanierungen zur Verfügung.

Biogas als grüne Variante
Doch ganz ohne Gas werde es kaum gehen, sagt Mitte-Nationalrätin Priska Wismer-Felder (51): «Die Industrie ist darauf angewiesen. Ausserdem ist Gas ein Energiespeicher.» Doch auch hier gibt es eine grüne Variante: Biogas. Bloss wird in der Schweiz ein grosser Teil davon verstromt. «Aber für die Stromproduktion haben wir auch andere Quellen», sagt Wismer-Felder. Sie hat am Donnerstag eine Motion eingereicht, die Investitionsförderungen für die Produktion und Vermarktung des grünen Gases in Form von Biomethan fordert – unterzeichnet von Mitgliedern sämtlicher Fraktionen.

Das alles ändert indes nichts an den aktuell hohen Preisen fürs Tanken und Heizen. «Die haben jedoch mit Knappheit wenig zu tun», sagt Martin Koller (44), Chefökonom des Energiekonzerns Axpo. «Bis jetzt fliessen Öl und Gas aus Russland ungebrochen. Verantwortlich ist vielmehr die Unsicherheit darüber, wie lange das so bleibt.» Das werde sich auf die Schnelle wahrscheinlich nicht ändern, sagt Koller: «Energie könnte teurer werden.»

Zu teuer für Christian Imark (40): «Der Staat muss jetzt die Mineralölsteuer senken», fordert der SVP-Nationalrat. Es bleibe keine Zeit, auf das Parlament zu warten: «Da vergehen Monate. Deshalb muss der Bundesrat wie in der Corona-Krise das Notrecht verhängen und umgehend die Spritpreise senken.» Das sei der falsche Hebel, entgegnet Grünen-Nationalrätin Weichelt. «Zentral sind die steigenden Heizkosten, denen besonders Einkommensschwache als Mietende machtlos ausgeliefert sind. Es kann zu mehreren Tausend Franken Nachzahlungen kommen.» Weichelt hat deshalb am Freitag eine Motion eingereicht mit der Forderung, bei einem ausserordentlichen Heizkostenanstieg die Mehrkosten über die Ergänzungsleistungen zu decken.

Die Hausbesitzer wiederum können die Energieeffizienz der Gebäude steigern. Das Potenzial ist enorm: Eine Million Häuser in der Schweiz müssen dringend saniert werden. Schon kleine Eingriffe erzielen grosse Wirkung. «Mit dem Einbau moderner Fenster lassen sich bis zu 75 Prozent Energie sparen», sagt Jean-Marc Devaud (57), CEO des Fensterbauers 4B. Das hat sich herumgesprochen: «Wir haben so viele Aufträge wie noch nie», sagt Devaud.

Die Schweiz wird grüner. «Es ist alles da», sagt Stefan Batzli (56), Geschäftsführer von der aeesuisse. «Wir haben die Technologie, das Kapital und den gesellschaftlichen Willen.» Und rund 1000 Firmen, die Solaranlagen, Wärmepumpen und effiziente Energiesysteme anbieten. Das Problem ist nur: Es gibt zu wenige Fachkräfte. Deshalb haben die Solarfirma Helion und der Fensterbauer 4B bereits eigene Akademien aufgebaut, um ihre Angestellten zu schulen. Und der Fachverband Swissolar schafft eine völlig neue Berufslehre: Ab 2024 soll die dreijährige Ausbildung zum Solarspezialisten starten. «Immer mehr Junge wollen in diesen Bereich einsteigen», sagt Swissolar-Geschäftsführer David Stickelberger (60). «Wir müssen ihnen eine solide Ausbildung ermöglichen.»

Eine grüne Welle wegen Putin. Wie soll man damit umgehen? «Die Katastrophe von Fukushima führte zum Atomausstieg», sagt Priska Wismer-Felder. «Die Invasion in die Ukraine gibt den Erneuerbaren Schub.» Es sei traurig, dass es solche Anlässe brauche. «Und doch müssen wir den Kampf gegen den Klimawandel fortführen. Heute mehr denn je.»

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