31. Januar 2021

Was wir von den Zivilschutzkellern für die Energiewende lernen können?

In den frühen sechziger Jahren war viel im Umbruch und die Zeichen standen auf Sturm – Kalter Krieg, atomares Wettrüsten, Kubakrise. Unsicherheit machte sich breit und die Schweiz reagierte mit einem beispiellosen Infrastrukturprojekt – dem flächendeckenden Bau von Zivilschutzräumen. Es galt der Grundsatz, wonach jede Einwohnerin und jeder Einwohner Platz in einem Schutzraum in der Nähe des Wohnorts finden muss, falls es zu einem bewaffneten Konflikt oder einer Naturkatastrophe kommt.

Die Schweiz hat eine Pflicht zum Bau von Schutzkellern eingerichtet mit dem Ergebnis, dass bis heute landesweit rund 360’000 Personenschutzräume gebaut wurden. Würde man alle Schutzräume aneinanderreihen, gäbe dies einen Tunnel von Zürich bis Algier [1].

Heute ist diese Pflicht unbestritten. Vor einigen Jahren wäre sie fast politisch beerdigt worden. Doch dann passierte die Katastrophe in Fukushima und sorgte im letzten Augenblick für eine Rückbesinnung: Die Baupflicht wurde beibehalten.

Zivilschutzkellerpflicht gestern, Solarpflicht heute
In den letzten Wochen wurde bekannt, dass die Kantone und auch Bundesrätin Simonetta Sommaruga gerne eine Solarpflicht für Neubauten einführen möchten. Einige reagierten ablehnend, allen voran der Hauseigentümerverband. Unsere Freiheit sei gefährdet oder die Schweiz wolle keinen Zwang, hiess es. Anders vor 60 Jahren, als die Kubakrise drohte und die Schweiz viel besonnener reagierte. Damals fürchtete man eine kriegerische Auseinandersetzung oder eine atomare Verseuchung, heute sind wir mit möglichen Engpässen bei der Energieversorgung konfrontiert. Damals wie heute kennen und verfügen wir über Lösungen, wie wir diesen Risiken begegnen können. In den 60 Jahren bauten wir Kellerräume, nicht freiwillig, sondern weil es Pflicht war. Heute sollten wir eine einheimische und erneuerbare Energieinfrastruktur aufbauen, streiten aber über Massnahmen, die so einfach umzusetzen wären. Dazu zählen nicht nur die Solarpflicht für Neubauten, sondern auch die Vereinfachung der Bewilligungsverfahren, der Abbau bürokratischer Hemmnisse und die Bereitstellung finanzieller Mittel. Vor allem Letzteres wird gerne gegen die Energiewende ins Spiel gebracht, dabei geht es um nationale Interessen wie damals beim Bau von Zivilschutzräumen. Gerne erinnern wir daran, dass der Aufbau von 360’000 Schutzkellern auch nicht gratis zu haben war. 12 Milliarden Franken haben wir für dieses gigantische Infrastrukturprojekt ausgegeben. Wir fragen: Wieviele TWh erneuerbaren Strom liessen sich wohl zubauen, wenn wir uns noch einmal auf einen solchen Kraftakt einigen könnten? Die Rechnung ist schnell gemacht und die Antwort einfach: Fast die gesamte Jahresproduktion unserer Atomkraftwerke liesse sich damit ersetzen. Nehmen wir uns also ein Beispiel an unseren Vorfahren, raufen wir uns zusammen und legen wir endlich los beim Aufbau einer erneuerbaren Energieinfrastruktur. Wir haben die Lösungen, wir haben das Geld. Was es jetzt noch braucht, ist ein Zivilschutzkeller-Wille, um die Schweiz (versorgungs-)sicherer zu machen.

Stefan Batzli, Geschäftsführer aeesuisse

[1] Nachzulesen in: Jost auf der Mauer: Die Schweiz unter Tag, 2017